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Von der Gemeindestraße bis zur Bundesautobahn – Infrastrukturfinanzierung auf dem Prüfstand

Dokumentation zur Diskussionsveranstaltung am 10. April 2024
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Die Finanzierung der deutschen Verkehrsinfrastruktur steht einmal mehr auf dem Prüfstand. Eine angespannte Haushaltslage, Inflation und Kostensteigerungen in den vergangenen Jahren stehen hohen Kosten für den Abbau des enormen Sanierungs- und Modernisierungsstaus sowie für notwendige Transformationsprozesse im Verkehrsbereich in den kommenden Jahren gegenüber. Angesichts der zunehmenden Diskussionen über die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung stehen wir vor einer Reihe kritischer Fragen: Wie können wir eine nachhaltige Finanzierung sicherstellen, die Vertrauen in den Erhalt als auch in den Ausbau unserer Straßeninfrastruktur schafft? Welche finanzielle Rolle spielen dabei die Leistungen der einzelnen Verkehrsträger? Und wie können wir sicherstellen, dass die Finanzierung gerecht und effizient erfolgt, um sowohl den ländlichen als auch den städtischen Raum zu unterstützen? Zur Klärung dieser und weiterer Fragen und der Förderung des verkehrsinfrastrukturellen Dialogs, lud Pro Mobilität am 10. April 2024 zur öffentlichen Diskussionsveranstaltung „Von der Gemeindestraße bis zur Bundesautobahn – Infrastrukturfinanzierung auf dem Prüfstand“ in die Landesvertretung Baden-Württemberg ein. Den etwa 120 Gästen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Verbänden wurde im Laufe der Veranstaltung ein vielfältiges Programm geboten.

Der in der vorangegangenen Mitgliederversammlung für zwei weitere Jahre zum Präsidenten von Pro Mobilität gewählte Eduard Oswald, eröffnete die Veranstaltung mit einer kurzen Begrüßungsrede. Pro Mobilität sei der einzige Verband in Deutschland, der die Straßenverkehrsinfrastruktur in den Mittelpunkt seiner Arbeit stelle. Die Straßenverkehrsinfrastruktur sei das Nervensystem unserer Volkswirtschaft und elementar für eine leistungsfähige Wirtschaft und die Versorgungssicherheit in Deutschland. „Ohne Straße geht es nicht“, so Eduard Oswald, der den Teilnehmern einen spannenden Abend mit zielführenden Diskussionen wünschte.

Stefan Ertner, Dienststellenleiter der Landesvertretung Baden-Württemberg, sprach in seinem Grußwort der Landesregierung Baden-Württemberg, von der langjährigen Verbindung von Pro Mobilität zur Landesvertretung. So habe der Verband seit 2027, mit Ausnahme der Pandemie-Jahre, jeweils die jährliche, öffentliche Veranstaltung in den Räumlichkeiten der Landesvertretung abgehalten. Ertner wies im Hinblick auf das Thema des Abends auf den großen Sanierungs- und Modernisierungsstau in der Verkehrsinfrastruktur und die immensen Investitionsbedarfe hin. 2011 habe man in Baden-Württemberg einen Paradigmenwechsel vollzogen. Mit der Ausrichtung auf das Prinzip „Erhalt vor Neubau“ habe man den Zustand der Landesstraßen zumindest auf konstanten Niveau halten können. Allerdings stehe man auch in Baden-Württemberg vor großen Herausforderungen, insbesondere bei den in die Jahre gekommenen Brücken, die Sperrungen und Staus verursachten und die individuelle und gewerbliche Mobilität einschränkten. Der Sanierungsbedarf sei also groß und gleichzeitig auch die Herausforderungen bei der Transformation hin zur Klimaneutralität. Dies erfordere neben einer langfristig gesicherten Finanzierung auch Personal, welches aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels über alle Branchen hinweg, schwerlich zu finden sei. Angesichts begrenzter öffentlicher Mittel denke man in Politik und Branche schon seit längerem über alternative Finanzierungsquellen nach und mehrere Kommissionen hätten hier bereits alternative Wege aufgezeigt – von City-Maut Modellen bis zur Drittnutzerfinanzierung. Baden-Württemberg habe im vergangenen Jahr die Ausweitung der Lkw-Maut begrüßt, da dies finanzielle Spielräume schaffe. Darüber hinaus werde zurzeit im Bundesland die Ausweitung der Maut auf Landes- und kommunale Straßen geprüft sowie weitere Möglichkeiten, beispielsweise im Sinne einer Fondsfinanzierung diskutiert. „Unser gemeinsames Ziel ist eine moderne und robuste Infrastruktur“, so Stephan Ertner, der sich freute, dass diese und weitere Fragen im Laufe des Abends in den Mittelpunkt der Diskussion gestellt würden.

Prof. Dr. Alexander Eisenkopf von der Zeppelin Universität Friedrichshafen referierte in der Folge über „Die Lebenslügen der bundesdeutschen Verkehrsinfrastrukturpolitik“. Dabei stelle er am Anfang klar, dass mit Lebenslügen natürlich keine Lügen im eigentlichen Sinne gemeint seien, sondern eher Legenden oder Geschichten, denen der Professor an diesem Abend auf den Zahn fühlen wolle. Eine dieser Legenden überschrieb Prof. Eisenkopf mit der Frage „Hochlauf der Verkehrsinfrastrukturinvestitionen?“ und zeigte anhand von Daten zum Personen- und Güterverkehrsaufkommen und der realen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, dass sich das derzeitige Investitionsniveau ungefähr auf dem Niveau der 1980er und 1990er Jahre bewege, bei gleichzeitig massiv gestiegenen Verkehrsleistungen. Die preisbereinigte Investitionslücke im Bundesverkehrswegeplan liege derzeitig bei etwa 56 Milliarden Euro. Eine Summe die aufhorchen lassen sollte. Eine weitere Lebenslüge präsentierte Prof. Eisenkopf unter dem fragenden Titel: „Die Schiene wird bei den Investitionen benachteiligt, die Straße bevorzugt?“. Hier stellte er zunächst anhand von Daten zu Pro-Kopf-Investitionen in Straße und Schiene im europäischen Vergleich fest, dass Länder, die weitaus mehr als Deutschland Pro-Kopf in die Schiene investieren, dies gleichzeitig auch bei der Straße tun. Es liege also nicht daran, dass ein Verkehrsträger benachteiligt werde, sondern dass einige Länder einfach sehr viel mehr Wert auf eine insgesamt gut ausgebaute Infrastruktur legten und entsprechend mehr Mittel bereitstellten. Und auch auf Bundesebene zeige sich bei einem Blick in die Haushaltspläne, dass die Investitionen in die Schienenwege mittlerweile höher ausfielen als jene in die Straße. Betrachte man die Investitionen zusätzlich in Verbindung mit der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Verkehrsträger lasse sich konstatieren, dass bezogen auf das investierte Kapital in die Infrastruktur, die Straße zweimal mehr leiste als die Schiene. Als weitere Legende führte Prof. Eisenkopf folgende Aussage an: „Mit dem Ausbau der Schieneninfrastruktur gelingt die Verkehrswende“. Da bei der Bahn momentan im Grunde nur Ersatzinvestitionen getätigt werden, müsste zur Erreichung des von der Bundesregierung gesteckten Ziels, den Modal Split der Schiene im Güterverkehr auf 25 Prozent zu heben und eine Verdopplung der Fahrgastzahlen zu erreichen, massiv zusätzliches Geld investiert werden. Dabei seien die potenziellen Emissionsminderungen durch eine Verlagerungspolitik stark begrenzt (laut NPM 2021 etwa 6,5 Mio. t CO2-Äquivalente). Der wichtigste Hebel zur Defossilisierung des Verkehrs sei die Straße (etwa 33 bis 45 Mio. t CO2-Äquivalente). Auch auf den von Bundesminister Volker Wissing zuletzt vorgeschlagenen Infrastrukturfonds ging Prof. Eisenkopf ein. Er stehe Fondslösung zwar grundsätzlich positiv gegenüber (z.B. Schweiz mit BIF), sehe aber keinen Bedarf an ergänzender privater Finanzierung über einen Infrastrukturfonds. So gäbe es im Vergleich zu ÖPP-Projekten keine Effizienzvorteile in Betrieb oder der Bereitstellung der Infrastruktur. Zudem stellten sich Fragen hinsichtlich der Strukturierung eines solchen Fondsmanagement und der Anreizkompatibilität von öffentlicher und privater Mischfinanzierung. „Wir haben bei der Verkehrsinfrastruktur kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem!“, so der Professor und forderte ein radikales Umsteuern und Umlenken, das sich von den über Jahrzehnte gepflegten Lebenslügen verabschiede. Es brauche eine konsequente Umschichtung der Haushalte von konsumtiven zu investiven Verwendungen und eine Effizienzsteigerung bei der Infrastrukturbereitstellung und -bewirtschaftung.

Power Point Präsentation von Prof. Eisenkopf

 

Es folgten zwei kurze politische Statements von Ulrich Lange MdB, Stellv. Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Jürgen Lenders MdB, Berichterstatter Straßenverkehrsrecht der FDP-Bundestagsfraktion und Mitglied Bundestagsverkehrsausschuss. Der Bundestagsabgeordnete Lange betonte in seinem Statement die Bedeutung einer guten Mobilität für Deutschland und die damit verbundenen Herausforderungen und unterstrich die Notwendigkeit eines Investitionshochlaufs zum Erhalt, Ausbau und Neubau von Infrastruktur über alle Verkehrsträger hinweg. Er sehe die Finanzierungsherausforderung bei den Straßen und führte zudem aus, dass es zum derzeitigen Planungsstau auch deshalb kam, weil die Auftragsverwaltungen mit den Mittel, die sie seinerzeit pauschal bekamen, die damaligen Planungen nicht umsetzen konnten. Die noch immer zu langen Planungs- und Genehmigungsverfahren lägen auch im Scheitern der Einführung einer wahren Präklusionsregelung. „Der Verkehrsträger Nummer eins ist und bleibt die Straße“, so Ulrich Lange, „und deswegen bin ich Pro Mobilität auch dankbar“. Lange plädierte für eine realistische Finanzierungspolitik, die Nutzerfinanzierung und öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) einschließe. Gleichzeitig warnte er vor den langfristigen Folgen der Aufhebung der Schuldenbremse für die nächste Generation.

Jürgen Lenders MdB sprach zunächst über die drängenden Probleme der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland, insbesondere die Herausforderungen durch den drohenden Verkehrsinfarkt und die Notwendigkeit, verkehrsträgerübergreifend zu denken und zu finanzieren. Er verglich die Situation in Lüdenscheid, wo eine fehlende Brücke den Verkehrsfluss komplett zum Erliegen brachte, mit einem Herzinfarkt und warnt vor den Folgen unzureichender Infrastruktur für Menschen und Gewerbetreibende. Lenders hinterfragte zudem die bisherige Finanzierungspolitik, insbesondere das Prinzip „Straße finanziert Straße“, und plädierte für ein Umdenken hin zu „Verkehr finanziert Verkehr“, um den zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden. Um den Güterverkehr effizienter zu gestalten und Staus zu vermeiden sprach er sich für die Erweiterung der Kapazitäten bei Schiene und Wasserstraßen aus. Zudem kritisierte er die Praxis der Haushaltspolitik, bei der Einnahmen aus der Maut nicht transparent und zielgerichtet verwendet werden, und kam auf den Vorschlag des Parteikollegen und Verkehrsministers Wissing zurück - der Schaffung eines zweckgebundenen Fonds zur Infrastrukturfinanzierung. Lenders betonte auch die Schwierigkeiten, neue Projekte gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen, und die Notwendigkeit, Abschreibungen und Wertverlust von Infrastruktur angemessen zu berücksichtigen. Nur durch die Schließung von Finanzierungslücken und der Sicherstellung der Planungssicherheit für Bauunternehmen ließen sich die infrastrukturellen Herausforderungen Deutschlands zu bewältigen.

Anschließend moderierte der Geschäftsführer von Pro Mobilität, Christian Funke, eine Gesprächsrunde unter dem Titel „Wissenschaft und Politik im Gespräch“ mit den bisherigen Rednern Prof. Eisenkopf, Ulrich Lange MdB und Jürgen Lenders MdB.  Herr Funke eröffnete die Diskussion mit einem Verweis auf die von Pro Mobilität beim IW Köln in Auftrag gegebene Studie, die geringe Verlagerungspotenziale von der Straße auf die Schiene aufzeigte, und fragte, ob unter diesen Umständen die begrenzten Finanzmittel nicht besser zur Dekarbonisierung des Straßenverkehr genutzt werden sollten.  Prof. Eisenkopf betonte die Notwendigkeit, sowohl in den Straßen- als auch in den Schienenverkehr zu investieren und plädierte für den Ausbau des Kombinierten Verkehrs. Auch Herr Lange sprach sich für eine intelligente Verknüpfung der Verkehrsträger aus verwies aber gleichzeitig darauf, dass der Großteil des Wirtschaftsverkehrs weiterhin auf der Straße stattfinde und hier dementsprechend ausreichend und langfristig investiert werden müsse.  Auch der Abgeordnete Lenders betonte noch einmal: „Die Straße ist und bleibt der Verkehrsträger Nummer eins“. Dennoch sorge er sich über den immensen Investitionsstau bei der Schiene, den es ebenfalls aufzulösen gelte. Auf den Vorschlag von Verkehrsminister Wissing angesprochen, kritisierte Ulrich Lange den Vorschlag eines Infrastrukturfonds als nicht praktikabel, solange keine klare Finanzierungsquelle definiert seien. Prof. Eisenkopf ergänzte, dass die Schaffung eines solchen Fonds nicht automatisch mehr Geld bedeuten würde und wies auf die Notwendigkeit alternative Finanzierungsquellen hin. Insgesamt zeigte die Diskussion die Komplexität der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung und die Notwendigkeit einer ausgewogenen und zukunftsfähigen Strategie, die alle Verkehrsträger mit ihren spezifischen Stärken und Schwächen berücksichtigt.

Nach einem kurzen Schlusswort des Präsidenten Eduard Oswald wurde der Abend bei anregenden Gesprächen und Diskussionen unter den Gästen ausklingen lassen. Pro Mobilität bedankt sich herzlich bei der Landesvertretung Baden-Württemberg für die Gastfreundschaft sowie allen Rednern, Diskutanten und den zahlreichen Gästen aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft für den gelungenen Abend.