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Verkehrsinfrastrukturpolitik Straße 2017+

Dokumentation zur Veranstaltung vom 27. September 2016
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Investitionshochlauf, Bundesverkehrswegeplan 2030, Ausweitung der Lkw-Maut und der Aufbruch in das Zeitalter von automatisiertem Fahren und Elektromobilität. Lange gab es in der Verkehrspolitk zum Thema Straße nicht mehr so viel Bewegung wie in der aktuellen Legislaturperiode.

Wie ist das Erreichte zu bewerten und welche Aufgaben muss die Verkehrspolitik in Zukunft noch bewältigen? Die verkehrspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke diskutierten dies bei der Veranstaltung "Verkehrsinfrastrukturpolitik 2017+" von Pro Mobilität. Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesminsterium für Verkehr und Digitale Infrastruktur, erläuterte die Strategie der Bundesregierung. Mehr als 240 Gäste aus Politk und Wirtschaft waren am 27. September der Einladung des Verkehrsinfrastrukturverbandes ins Maritim Hotel Berlin gefolgt.

"Straßen müssen „intelligenter, hochwertiger und nachhaltiger werden", brachte Gastgeber Eduard Oswald, Präsident von Pro Mobilität, die Herausforderungen in seiner Begrüßung auf den Punkt. Mobilität sei das bestimmende Lebensgefühl unserer Zeit. Um die Akzeptanz des Verkehrs zu erhalten, müsse künftig verstärkt in Lärmschutz und Verkehrssicherheit investiert werden. Jetzt gelte es Voraussetzungen zu schaffen, dass Deutschland führende Wirtschaftsnation bleiben kann. Unsere Gesellschaft sei im Infrastrukturbereich gerade erst dabei, den Nachholbedarf der Vergangenheit anzuerkennen und Maßnahmen einzuleiten. Dies geschehe in einer Zeit, in der sich das Verkehrssystem Straße in einem Tempo verändert, "wie wir es nie zuvor erlebt haben“. Carsharing, Fernbus-Boom, Vernetzung, automatisiertes Fahren und die Digitalisierung der Infrastruktur seien hierfür beispielhaft.

"Die Finanzierung der Bundesverkehrswege wurde nach einem Jahrzehnt der Stagnation deutlich gesteigert. Das erkennen wir voll und ganz an." Oswald betonte, die Investitionen in Erhalt und Engpassbeseitigung deckten zwar noch nicht den Bedarf, doch sie erreichten die Grenzen dessen, was kurzfristig auf Seiten der Planung umsetzbar sei. Oswald kritisierte die Abstimmungsprobleme zwischen Bund und Ländern in der Planung und die Verzögerung bei Ausschreibungen von ÖPP-Projekten.

Eine Bundesfernstraßengesellschaft könne hier mehr Effizienz ermöglichen. Diskussionsbedarf gebe es auch bei der Weiterentwicklung der Maut für Lkw und Pkw, dem Klimaschutz und der Umsetzung der Elektromobilität.

Digitaliserung revolutioniert den Verkehr

Die Strategie der Bundesregierung erläuterte Rainer Bomba, Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Bomba vertrat Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, dem es erst später möglich war, an der Veranstaltung teilzunehmen.

„Digitalisierung ist die Basis für den gesamten Veränderungsprozess des Verkehrs“, erklärte Bomba. Die Bedeutung des Umbruchs sei vergleichbar mit der industriellen Revolution. Moderne Infrastruktur, neue Antriebstechnologien, wie Elektromobilität und die Brennstoffzelle, das automatisierte und vernetzte Fahren und die Digitalisierung, seien die wichtigsten Themen. Ohne diese Entwicklungen sei es kaum möglich, die vereinbarten Klimaschutzziele zu erreichen.

Bomba unterstrich die Bedeutung des Investitionshochlaufs: 2018 würden für Bundesfernstraßen etwa 40 Prozent mehr Mittel zur Verfügung stehen als noch 2014. Doch der Ersatz nur einer einzigen Autobahnbrücke, wie der maroden A1-Brücke in Leverkusen, koste bereits eine Viertel Milliarde. „Es werden noch viele weitere Brücken mit Ersatzbedarf hinzukommen.“ Deshalb brauche man auch ÖPP-Finanzierung, was sich gut gut bewährt habe. Größer noch sei das Planungsproblem: Einige Bundesländer hätten keine baureifen Projekte mehr. Planfeststellungsverfahren seien noch nicht durchgeführt worden und das Baurecht fehle. Deshalb brauche es die Bundesautobahngesellschaft: „Planen, bauen und betreiben aus einer Hand.“ Ein Gesetz dazu solle noch in dieser Legislatur vorgelegt werden. Mit dem Bundesverkehrswegeplan 2030 habe die Regierung bereits wichtige Weichen gestellt: Über 1.000 Projekte mit der Prämisse „Engpässe im Verkehrsnetz beseitigen und Erhalt vor Ausbau“. Bei einem Gesamtvolumen von 269 Mrd. Euro sind 141 Mrd. Euro für Erhaltungsmaßnahmen vorgesehen. Für Ausbau und Erhalt im Straßennetz sind insgesamt 132 Mrd. eingeplant.

Zugleich mahnte Bomba zur Geduld: "Elektromobilität, Digitalisierung, automatisiertes und vernetztes Fahren - bahnbrechende Entwicklungen brauchen Dekaden." Die Bundesregierung investiere in den kommenden drei Jahren 300 Millionen Euro in den Aufbau von 15.000 Ladesäulen. Doch Infrastruktur, Digitalisierung und Verkehr müssten zusammen entwickelt werden. Die Aufgabe laute daher: "Mobilität kombinieren mit Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung, neuen Antrieben und erneuerbaren Energien".

In diesem Punkt waren sich Impulsgeber Bomba und das Panel einig. Unter der Leitung von Dr. Daniel Delheas (Handelsblatt) diskutierten Ulrich Lange, verkehrspolitischer Sprecher der CDU- und CSU-Bundestagsfraktion, Sabine Leidig, verkehrspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Dr. Valerie Wilms, Obfrau im Ausschuss Verkehr und digitale Infrastruktur der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen und Eduard Oswald, Präsident, Pro Mobilität – Inititative für Verkehrsinfrastruktur.

CDU und CSU: Investitionswende geschafft

„Diese Periode war positiv für die Infrastruktur wie lange keine davor“, lobte Ulrich Lange. Alexander Dobrindt habe die Investitionswende im Verkehrsbereich geschafft. Das Brückensanierungsprogramm hob er besonders hervor. Der Beginn der Legislatur sei noch von Schlagzeilen wie Bröckelrepublik und Schlaglochpisten geprägt gewesen. Zuvor sei es „nur mühsam“ mit einzelnen Investitionsprogrammen möglich gewesen, etwas für den Straßenbau zu tun. Noch nie habe so viel Geld für Lärmschutz bereitgestanden nun komme auch noch der Bau von überregionalen Radschnellwegen hinzu. Positiv bewertete Lange auch die Entwicklung bei der Bahn, wo er u.a. auf die neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) mit einem Volumen von 28 Mrd. Euro bis 2019 sowie den Deutschlandtakt als Ziel im Bundesverkehrswegeplan hinwies.

Linke: Anreize für Verkehrswende fehlen

Sabine Leidig wertete es als Erfolg, dass der Erhalt der Verkehrsinfrastruktur ins öffentliche Bewusstsein gerückt ist. Sie forderte jedoch dass die schweren Lkw als Verursacher von Infrastrukturschäden in vollem Umfang für alle Kosten aufkommen müssten. Bislang würden „Gesundheitskosten in Milliardenhöhe externalisiert.“ Millionen Menschen würden unter Lärm und Abgasen leiden. Leidig fragte wie die Verkehrswende erreicht werden solle? Die Aufteilung des begrenzten Verkehrsraums insbesondere in der Stadt sei eine politische Entscheidung, mahnte sie. „Selbst Autfahrer fordern, dass ÖPNV ausgebaut wird“. Wenn die Regierung mit immer mehr Verkehr plane, seien die Klimaziele von Paris nicht erereichbar. Zudem sei nichts von den Klimazielen im Bundesverkehrswegeplan abgebildet. Vor dem Neubau von Straßen müssten zuerst alle Reperaturen am Bestandsnetz erledigt werden. Leidig regte an, die Verkehrswende über ein Bonus-Malus-System zu steuern und forderte als wichtigen Schritt, die geringere Besteuerung des Dieselkraftstoffs aufzugeben. Das Konzept der Bundesregierung bezeichnete Leidig als „nicht zukunftsfähig“.

Grüne: Strukturen verändern

„Nicht nur immer Geld reinkippen in die Infrastruktur, sondern auch mal die Organisationsstrukturen anschauen“, forderte Dr. Valerie Wilms. Mit einer Bundesinfrastrukturgesellschaft hätte man viele Probleme gelöst. Dazu gehöre aber nicht die Finanzierung durch ÖPP. Wilms vermisste im Bundesverkehrswegeplan „ein bisschen das System Schiene“. Beim Umgang mit den verschiedenen Verkehrsträgern bemängelte Wilms, dass die Bahn „eine Vollkostenrechnung für die Nutzer“ mache während die Nutzerkosten auf der Straße gedeckelt seien und für die Wasserstraßen nur „ein paar lächerliche Schleusengebühren anfallen.“ Es fehlten Angebote, um Transporte auf langer Strecke auf die Schiene zu verlagern, wie etwa ein funktionierender „Deutschlandtakt“ oder „Systemtrassen“. Sie regte an, einen Bundesnetzplan zu entwickeln, der den internationalen Verkehr sicherstelle und in das europäische Netz eingebunden sei.

SPD: Viele Projekte in Arbeit

Durch das Klimaabkommen von Paris „müssen wir im Verkehr pro Jahr 10 Mio Tonnen CO2 einsparen“, so Kirsten Lühmann. „Dazu brauchen brauchen wir die Länder und Kommunen.“ Mit dem Bundesverkehrswegeplan werde man die nicht elektrifizierten Bahnstrecken stark reduzieren. Ziel sei eine integrierte Verkehrspolitik, die auch Verlagerung auf die Schiene fördere, wobei es hier Grenzen gebe. “Sechs von neun TEN-Korridore in Europa führten durch Deutschland. Lärmschutz sei daher eine wichtige Aufgabe. Für die Straße sieht Lühmann in der Digitalisierung ein großes Potenzial: Was den Verkehr flüssiger und sicherer mache, sei zu begrüßen. Bis zum Ende der Legislatur seien noch einige „Projekte in der Pipeline.“ Dazu gehörten die Ausweitung der Lkw-Maut und die notwendigen Konsequenzen aus der Abgasaffäre. Bei der Verkehrssicherheit nannte Lühmann die Reform der Fahrlehrerausbildung und die geplante Einführung von Alco-Locks. Für Berufskraftfahrer sei wichtig, die Standards für Sozialvorschriften, Kontrollen, Mindestlohn oder die Qualifizierung zu überarbeiten. Schließlich werde ressortübergreifende Zusammenarbeit in der Verkehrspolitik immer wichtiger.

Oswald: Wir sind ein freiheitliches Land

„Verkehrspolitik muss verständlich und nachvollziehbar sein,“ betonte Oswald. Deshalb begrüße er solche Diskussionen, in denen die unterschiedlichen Standpunkte deutlich werden. Im Wesentlichen hätten alle hier ein ähnliches Ziel: „Es wird versucht, Verkehr effektiv zu gestalten.“ Zum Thema Restriktion im Verkehr gab Oswald zu bedenken, dass wir „ein freies Land“ sind. Diese Freiheit in der Mobilität gelte für Personen und für Güter und sie stehe nicht zur Disposition. Mobilität müsse daher bezahlbar sein. Es sei eine tolle Leistung dieser Legislaturperiode, dass die Wende in der Infrastrukuturfinanzierung erreicht worden ist. Größte Herausforderung: „Es fehlen in manchen Bereichen die Planungskapazitäten.“ Dort müssten die Länder aktiv werden. „Sind die Auftragsverwaltungen gut vorbereitet und gibt es in Deutschland genug Ingenieure oder wird am Bedarf vorbei ausgebildet?“ Das seien Fragen, die in nächster Zeit dringend beantwortet werden müssten.

„Das Ziel ist nah, der Weg ist weit“, so das philosophische Schlusswort dazu von Moderator Daniel Delhaes.