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Verkehrsinfrastrukturpolitik im Spannungsfeld von Etatkonsolidierung und Wachstumspolitik

Diskussionsforum

Nach den vorliegenden Vorschlägen der Regierung soll der Verkehrs- und Baubereich in den nächsten Jahren rund eine Milliarde Euro einsparen. Ein Ergebnis, das in der folgenden Podiumsdiskussion von den Politikern und Experten aus der Wirtschaft unterschiedlich bewertet wurde.

Es diskutierten Patrick Döring, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, Winfried Hermann, MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Bundestag und Mitglied der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen, Bartholomäus Kalb, MdB, Berichterstatter Verkehr der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss, Bernward Kulle, Mitglied des Vorstands der HOCHTIEF Concessions AG, und Peter Markus Löw, Geschäftsführer CCO der Autobahn Tank & Rast GmbH. Die Moderation übernahm Dr. Peter Fischer, Präsident von Pro Mobilität.

Einführung

"Wir stehen erst am Anfang einer langen Konsolidierungsdiskussion, die durch die Schuldenbremse noch von einigen Klausurtagungen des Bundes begleitet sein wird", betonte Dr. Fischer in seiner Begrüßung. Nun müsse man die richtigen Prioritäten für die Zukunft setzen. Welche Bedeutung eine intakte Verkehrsinfrastruktur habe, zeige die Deutsche Bundesbank mit ihrer Entscheidung, die Fahrleistungen der LKW-Maut in die Gruppe der Frühindikatoren der Konjunkturentwicklungen aufzunehmen. "Wirtschaftswachstum geht einher mit dem Anstieg des Güteraufkommens. Um wirtschaftlich erfolgreich zu sein, müssen wir also mobil sein", betonte Dr. Fischer.

Ein Blick in die staatlichen Finanzen verdeutliche den Druck auf die Investitionsetats: Während der Bundeshaushalt zwischen 2005 und 2010 um ca. 30 Prozent zulegte habe, trat der Verkehrs- und Bauhaushalt - mit Ausnahme der beiden Konjunkturprogramme - auf der Stelle. Mittelfristig wolle der Bund sogar noch weniger investieren, warnte Dr. Fischer. Doch aufgeschobene Investitionen seien nichts anderes als versteckte Staatsverschuldung. Kommende Generationen müssten Versäumtes aufholen und die maroden Verkehrswege sanieren.

Expertise  Prof. Dr. Alexander Eisenkopf 

Welches Spannungsverhältnis zwischen der notwendigen Etatkonsolidierung und den ebenso erforderlichen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur besteht, erläuterte Prof. Dr. Alexander Eisenkopf in seinem Impulsvortrag "Effiziente Infrastrukturentwicklung zwischen Sparzwang und Wirtschaftswachstum als Quadratur des Kreises?" 
Der Inhaber des Phoenix-Lehrstuhls für Allgemeine BWL und Verkehrsinfrastrukturpolitik und Mobility Management an der Zeppelin-University in Friedrichshafen stellte fest, dass Deutschland das Bruttoinlandsprodukt (BIP) immer stärker unter Zuhilfenahme von Verkehrsleistungen produziere. Gründe sieht Prof. Eisenkopf in der Vollendung des Binnenmarktes in den 90er Jahren und in der weiter zunehmenden Globalisierung. So habe auch die Einführung der streckenbezogenen Maut im Jahr 2005 keine dämpfende Wirkung auf den Anstieg des Güterverkehrs entwickeln können. Unter Annahme, es würde keine Infrastruktur-Restriktionen geben, werde bis 2050 mit einer Verdopplung des Güterverkehrs gerechnet.

Der Verkehrsexperte analysierte, dass sich die Verkehrsleistung, anders als politisch gewünscht, vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) entkoppelt habe, indem sie stärker wachse. Bei den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur sei dies genau umgekehrt. Der Staat investiere heute 20 Prozent weniger als vor der Wiedervereinigung. Welche Chancen auf Wachstumsimpulse damit vergeben werden, habe das Rheinsch-Westfälische Wirtschaftsforschungsinstitut RWI für das Bundesfinanzministerium errechnet: Jede zusätzliche Milliarde für die Verkehrswege steigere das BIP in den Folgejahren um jeweils 250 Millionen Euro.

Bereits die Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung (Pällmann-Kommission) habe vor zehn Jahren einen Investitionsbedarf von 12 Milliarden Euro jährlich (Preisniveau 2000) ermittelt. Berücksichtige man die seit 2005 um 18 Prozent gestiegenen Baupreise, komme man auf ein Defizit von 25 Milliarden Euro, die seitdem nicht investiert werden konnten. Zwar gelte auch bei der Infrastrukturausstattung das Gesetz der abnehmenden Grenzerträge, nach dem Wachstumseffekte durch Investitionen umso geringer ausfallen, desto besser das vorhandene Angebot ist. Doch für Deutschland sei dies nicht zu befürchten. "Wir können mit gutem Gewissen in Verkehrsinfrastruktur investieren", ermunterte Prof. Eisenkopf die Politik.

In seiner Analyse der institutionellen Reformen der letzten 10 Jahre streifte er das Thema PPP: Er sehe darin keinen Königsweg aus der Finanzierungskrise. Bei der Ausgestaltung der Verkehrsinfrastrukturgesellschaft (VIFG) gebe es ebenfalls Diskussionsbedarf. Die zentrale Frage sei, ob sie tatsächlich kreditfähig werden müsse oder ob es kreative Möglichkeiten im Rahmen des Systems gebe.

Insgesamt sei die Verkehrsinfrastrukturfinanzierung bislang nicht ausreichend gewesen. Der bisherige institutionelle Rahmen mache eine effiziente Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur sogar unmöglich. "Das System der Finanzierung ist gescheitert", bilanzierte Prof. Dr. Eisenkopf. "Die Finanzierungsgrundlage für Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ist über alle Verkehrswege unzureichend."

Lösungswege sieht der Verkehrswissenschaftler in der verstärkten Nutzerfinanzierung bei gleichzeitiger Lösung aus dem Korsett der jährlichen Haushaltsfinanzierung. Dazu brauche es die Ausweitung der LKW-Maut auf Fahrzeuge unter 3,5 Tonnen und eine PKW-Maut-Vignette. In den kommenden Jahrzehnten müsste massiv in die Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Man brauche intelligente Investitionen in zentrale Verkehrsachsen und Projekte, die großräumige Wirkung haben. Das erfordere eine Abkehr vom Proporzschema und den Verzicht auf Leuchtturmprojekte wie die Fehmarnbelt-Querung.

Die Diskussion 

Die dann folgende Podiumsdiskussion beschäftigte sich mit den Grundfragen nach Mobilitätsbedarf und Infrastruktur, den Auswirkungen der Etatkonsolidierung auf die Verkehrsinfrastruktur und der Gretchenfrage, was angesichts der Sachlage konkret zu tun sei. Einige Aussagen aus den Redebeiträge der Teilnehmer:

Markus Löw, Geschäftsführer CCO, Autobahn Tank & Rast GmbH


In der Krise sei die Pkw-Verkehrsleistung stabil geblieben während es beim Lkw einen Rückgang von ca. 10 Prozent gegeben habe. Kein Zweifel gebe es aber daran, dass die Straße auch in Zukunft der Verkehrsträger Nummer 1 bleiben werde, betonte Löw. Wenn der Verkehrsminister sage, er wolle Mobilität ermöglichen und nicht verhindern, sei das der richtige Weg. Um die Investitionen zu stärken, sei der Schulterschluss von Verkehrspolitik sowie von Haushalts- und Finanzpolitik notwendig. Ansonsten könnten alle Konzepte, die man seit Pällmann kenne und nutzen möchte, nicht umgesetzt werden.

Was private Investoren in PPP-Projekten an Effizienzgewinn zu leisten in der Lage seien, zeige ein Pilotvorhaben seines Unternehmens mit dem Bundesverkehrsministerium und dem Land Rheinland Pfalz. Dort sei eine Rastanlage in nur einem Jahr um 50 Stellplätze für Lkw erweitert worden. PPP habe viel Potenzial, die Umsetzung müsse aber einfacher werden.

Verkehrs- und Infrastrukturpolitik seien wichtige Elemente einer aktiven Wirtschaftspolitik, betonte Löw. Es müsse eine zentrale Aufgabe sein, für diesen Sachverhalt eine breite Akzeptanz bis hin in die Finanzpolitik zu schaffen. Dass es in der Sparklausur keine großen Streichlisten gegeben habe, sei ein Schritt in die richtige Richtung.

Patrick Döring, MdB, Stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion


"Als exportorientierte Volkswirtschaft müssen wir Infrastruktur als Produktionsmittel verstehen", so seine zentrale Botschaft. Selbst Dienstleistungsexport führe zu Mobilitätsbedürfnissen; jeder Manager von Mc Kinsey könne ein Lied davon singen. Auch der demographische Wandel werde eher mehr Mobilität bringen, wenn sich immer weniger Menschen auf immer mehr Raum verteilen. Künftig müsse man es besser schaffen, den Zusammenhang von Export orientierter Wirtschaft und dem Produktionsmittel Straße als echten Wert für unsere Volkswirtschaft darzustellen.

Ziel der Koalition sei es, die Investitionsquote des Bundes im Bereich Infrastruktur stabil zu halten. Außerdem sei im Koalitionsvertrag verankert worden, dass alles, was noch nicht umgesetzt werden konnte, neu nach Priorität geordnet werden müsse.

Mehreinnahmen aus der Lkw-Maut sollten unvermindert dem Verkehrshaushalt zufließen und seien über die VIFG investiv einzusetzen. Für mehr Effizienz und Spielraum in der Bauabwicklung müsse die VIFG kreditfähig werden. Die von Pro Mobilität geforderten, geschlossenen Finanzierungskreisläufe würden eine steuerliche Zufinanzierung nicht ausschließen. Sie sorgten in erster Linie für haushaltspolitische Klarheit. Ohne geschlossene Nutzungskreisläufe sei aber jegliche Debatte über eine Ausweitung der Nutzerfinanzierung nicht ratsam.

Winfried Hermann, MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Bundestag
"

Wir müssen das Wohlstandswachstum vom Mehrverbrauch an Energie entkoppeln", mahnte Hermann. Steuern würden dabei zu wenig als Lenkungsinstrument genutzt. So habe der Staat beim Flugverkehr, bislang ohne Kerosinsteuer und bei internationalen Flügen ohne Mehrwertsteuer, jährlich Einnahmen von vier Milliarden Euro verschenkt. Man habe eine Menge Verkehre durch Verbilligung künstlich erzeugt. Zudem seien in Zukunftsdiskussionen die Frage der C02-Emissionen und des zu Ende gehenden Öls zu stellen. Künftig sollte daher ein größerer Teil des Zuwachses des Güterverkehrs auf der Schiene stattfinden.

Langfristig rechne er mit einem starken Rückgang der Investitionen in alle Verkehrswege. Entscheidend sei deshalb der Nutzen von jeder Baumaßnahme im Sinne der Verbesserung des gesamten Systems. Dazu gehöre auch die Frage, wie schnell sie umgesetzt werden könne. In Zukunft seien vor allem Investitionen in die Erhaltung notwendig. Zudem lasse sich die Infrastruktur besser auslasten, wenn das Nutzungsverhalten gesteuert werde. Durch bürgerferne Planung entstünde derzeit bei Baumaßnahmen ein ungeheurer Legitimationsdruck, der Kosten verursache.

Eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Straße sei durchaus sinnvoll und die VIFG habe gute Perspektive als Instrument des kosteneffizienten Bauens und Planens. Bei einer generellen Kreditfähigkeit drohe aber ein neuer Schattenhaushalt. Geschlossene Kreisläufe der Nutzerfinanzierung sah er Auswirkungen auf Binnenschifffahrt und Bahn kritisch.

Überzeugende Verkehrspolitik müsse Schwerpunkte setzen, zeigen dass sie sparen könne und einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

Bartholomäus Kalb, MdB, Berichterstatter Verkehr der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss. 


"Notwendige Verkehrsinvestitionen sind seit Jahrzehnten chronisch unterfinanziert", räumte der Haushaltsexperte ein. Dass es bei den jüngsten Sparbeschlüssen gelungen sei, die Verkehrsinfrastruktur weitestgehend zu schonen, wertete Kalb als Erfolg.

Auch von den Haushaltspolitikern werde anerkannt, dass Verkehrsinvestitionen wichtig sind. Schließlich sei klar, dass mangelnde Erhaltungsinvestitionen in die Verkehrsinfrastruktur nicht nur ein volkswirtschaftliches Hemmnis darstellten, sondern auch eine Verschuldung in die Zukunft.

Kalb warnte vor dem Irrglauben, Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen ließen sich ohne Geld realisieren. Unabhängig, ob privat finanziert, privat vorfinanziert, als Betreibermodell realisiert oder aus dem Bundeshaushalt finanziert - Verkehrsinfrastruktur koste den Staat auf jeden Fall viel Geld.

Er mahnte, genau hinzusehen, wo Kosten anfallen, die nichts zur Qualität der Baumaßnahmen beitragen. So erlaube man sich langjährige Verfahren und Prozesse durch Sonder- und Umweltauflagen, die wenig bringen, aber viel kosten würden.

Die Koalition werde der VIFG mehr Handlungsspielraum geben, sobald dies finanziell möglich sei, denn die VIFG müsse entweder handlungsfähig werden, oder man müsse sie einstampfen. Sie brauche zumindest die Möglichkeit - ähnlich wie die Bundesländer - über den Jahreswechsel hinweg einen "Swing" zu nutzen, um finanzielle Schwankungen ausgleichen zu können. Dadurch könnten bei der Planung und Umsetzung von Baustellen Effizienzgewinne erzielt werden. Alles andere komme möglicherweise später.

Bernward Kulle, Mitglied des Vorstands, HOCHTIEF Concessions AG.


Die Möglichkeiten der Verkehrslenkung durch Steuern seien gering, LKW-Maut und Ökosteuer hätten kaum Einfluss gezeigt. Diese Fragen würden auch nicht den Kern des Problems treffen. Zu klären sei, wie man den Anforderungen durch den weiter stark steigenden Güterverkehr begegnen wolle.

Langfristig sei Deutschland ein interessanter Markt für private Investoren. Da mehr Effizienz bei der Bereitstellung der Infrastruktur nötig sei, geht er davon aus, dass privates Know-how zum Zuge kommen werde. Dies sei bei der ersten Staffel der A-Modelle bereits geschehen. Private Investoren könnten effizienter agieren, wenngleich PPP nicht Bauen ohne Geld bedeute. Die Projektvergabe dürfe jedoch keine Wette auf die Zukunft darstellen, wo derjenige mit den wagemutigsten Prognosen den Zuschlag erhalte.

Generell helfe der Qualitäts- und Preiswettbewerb von PPP bei der Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur. Diese Erkenntnis sei im Ausland viel jedoch stärker entwickelt. Es gebe in Deutschland noch viele Potenziale für öffentlich-private Partnerschaften zu heben.

Darüber hinaus seien Strukturveränderungen in Richtung Nutzerfinanzierung notwendig. Die Einführung einer PKW-Maut sei daher nur eine Frage der Zeit. Ohne Zweckbindung lasse sich dem Nutzer allerdings nicht vermitteln, dass er möglicherweise mehr leisten müsse.