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Infrastruktur Straße

Vom Standortvorteil zum Risikofaktor der wirtschaftlichen Entwicklung?

Am 17. April diskutierten in Berlin Experten aus Politik, Wirtschaft und Verbänden über den Qualitätsverlust der Straßeninfrastruktur und deren Auswirkung auf die Volkswirtschaft. Mit der Anfang des Jahres für schwere LKWs gesperrten Autobahnbrücke bei Leverkusen wurden die Folgen für das Verkehrssystem deutlich, wenn auch nur eine einzige Autobahnbrücke ausfällt. 

Der seit Jahren bestehende Sanierungsstau im deutschen Straßennetz wurde der Öffentlichkeit mit der kurzfristigen Sperrung der Rheinbrücke an der A 1 bei Leverkusen „drastisch vor Augen geführt“, betonte Dr. Peter Fischer, Präsident von Pro Mobilität in seiner Begrüßungsrede. Der schleichende Zerfall von Straßen und Brücken werde auch international registriert. „Aus der Sicht ausländischer Entscheidungsträger in der Wirtschaft lagen wir bei der Qualität des Straßennetzes vor fünf Jahren noch auf Platz 4, mittlerweile sind wir auf Rang 10 abgerutscht“, habe das Standortranking des Weltwirtschaftsforums in Davos ergeben.

„Deutschland tut nicht nur zu wenig, um die größten Engpässe im Netz zu beseitigen, es reicht nicht einmal, um die von Generationen geschaffenen Werte in ihrer Substanz zu bewahren“, bemerkte Fischer mit Blick auf das rückläufige Nettoanlagenvermögen des Straßennetzes. „Wir sollten vorausschauend Erhaltung planen, finanzieren und umsetzen“, mahnte der Verbandspräsident. Doch dazu fehle es oft schon an den Grundlagen, wie einem Netzzustandsbericht, für die notwendigen politischen Entscheidungen.

Welche Chancen eine leistungsfähige Straßeninfrastruktur für die deutsche Wirtschaft bietet, zeigte Dr. Thomas Steinmüller in seinem Impulsvortrag „Von Deutschland nach Paneuropa“.

Der Vorsitzende der Plattform Logistikimmobilien des Zentralen Immobilien Ausschusses e.V. (ZIA) erinnerte daran, dass sich der Mittelpunkt der Distributionslogistik durch die Erweiterung Europas nach Osten verschoben habe. Lag er 2003 noch in der Ardennenregion Belgiens, befinde er sich heute zwischen Nürnberg und Leipzig. Deutschland spiele dadurch eine zentrale Rolle für die Verteilung von Waren innerhalb Europas. Die Region Leipzig habe dank niedriger Grundstückspreise, einem leistungsfähigen Flughafen und guter Autobahnanbindung beste Voraussetzungen für Logistikparks. Doch Probleme zeigten sich, wenn man von Leipzig z.B. nach Frankfurt am Main fahre. „Man kommt in der ersten Stunde sehr weit, dann wird es immer weniger, weil die Infrastruktur nicht ausreicht“. Die Logistikbranche, als einer der wichtigen Wirtschaftsmotoren in Deutschland, benötige jedoch leistungsfähige Verkehrswege.

Welche Konsequenzen drohen, wenn plötzlich zentrale Teile der Straßeninfrastruktur ausfallen, berechnete Prof. Dr. Wolfgang H. Schulz von der Universität Köln mit seiner Studie „Volkswirtschaftliche Verluste durch eine unzureichende Straßeninfrastruktur: Sperrung der A1 für den Lkw-Verkehr bei Leverkusen“.

Der Wissenschaftler ermittelte einen volkswirtschaftlichen Schaden von rund 100 Mio. Euro für die Sperrung der Autobahnbrücke für LKW über 3,5 Tonnen Ge-samtgewicht an 92 Tagen. Dem gegenüber stehen rund 200 Mio. Euro an Kosten für den Neubau, der 2020 fertig gestellt sein soll.

Die Schäden der ca. 1 km langen Autobahnbrücke seien durch Überlastung entstanden. Zunächst für eine vierspurige Nutzung konstruiert, wurde sie viele Jahre unter einem Tempolimit von 100 km/h mit sechs Fahrstreifen genutzt. Der regionale und überregionale Güterverkehr musste wegen der Sperrung große Umwege in Kauf nehmen.

Qualitätsmängel der Verkehrsinfrastruktur habe die Logistik in der Vergangenheit durch Produktivitätssteigerungen weitestgehend aufgefangen, erläuterte Prof. Schulz. Das Beispiel der Rheinbrücke zeige, dass dies zunehmend schwerer werde.

Die „Verkehrsinfrastrukturpolitik für eine international eng vernetzte Volkswirtschaft“ diskutierte anschließend eine Expertenrunde unter der Leitung von Dr. Daniel Delhaes (Korrespondent Handelsblatt).

( v.l.n.r. Hermann Grewer, Dr. Peter Fischer, Dieter Schweer, Dr. Daniel Delhaes, Thomas Jarzombek, Michael Groß)

Einigkeit herrschte bei allen Teilnehmern darin, dass bei dem absehbar steigenden Warenverkehr die Verkehrsinfrastruktur ertüchtigt und ausgebaut werden müsse. Der Sanierungsbedarf, besonders bei den Brücken, erfordere künftig eine Priorisierung der Investitionen in den Erhalt und den Ausbau des Kernnetzes. Wichtig für die Umsetzung aller Maßnahmen sei, dafür Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen.

Dr. Peter Fischer (Präsident von Pro Mobiliät – Initiative für Verkehrsinfrastruktur e.V.) bemängelte, dass die Politik in Zeiten knapper Ressourcen nur reagiere, wenn es dramatisch werde. Und diese Dramatik sei bei der Infrastruktur vor der A1-Brückensperrung noch nicht deutlich geworden. Inzwischen stehe die Verkehrsinfrastruktur aber wieder auf der Tagesordnung. Durch die Schuldenbremse werde sich die Situation in der kommenden Legislaturperiode weiter verschärfen, was zu intensiven Diskussionen in der Politik führen werde. Ein zentrales Problem für die Planung sei, dass es nur mangelhafte Informationen über die Qualität der Straßeninfrastruktur gebe.

Hermann Grewer (Ehrenpräsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. und Vize-Präsident von Pro Mobilität – Initiative für Verkehrsinfrastruktur e.V.), zeigte die Probleme für die Logistik in der Praxis auf. So sei es für Schwertransporte heute nicht möglich, auf direktem Weg von Siegen nach Hamburg zu fahren. Marode Brücken würden einen Um-weg von 300 Kilometern über Leipzig erfordern. In der Diskussion um die Rolle von Straßenbenutzungsgebühren verwies er auf die verständliche Erwartung der Transportunternehmen, für die Lkw-Maut eine bessere Infrastrukturqualität mit weniger Staus zu erhalten. Diese sei enttäuscht worden, weil die Mauteinnahmen nicht für zusätzliche Investitionen , sondern nur zur Ablösung der aus Steuern finanzierten Ausgaben genutzt worden seien.

Michael Groß, MdB (Stellvertretender Sprecher der Arbeitsgruppe Verkehr, Bau und Stadtentwicklung der SPD-Bundestagsfraktion), betonte, das 50 Prozent der Projekte aus dem Bundesverkehrswegeplan 2003 noch nicht begonnen bzw. beendet worden seien. Dies zeige das Problem, Infrastrukturbedarf zu definieren und entsprechend zu finanzieren. Laut Daehre-Kommission bestehe zusätzlicher Bedarf i.H.v. von 7,2 Mrd. Euro pro Jahr. Diese Finanzmittel sollten aus Steuermitteln und einer Ausweitung der LKW-Maut auf alle Straßen kommen. PPP sei aus seiner Sicht weniger geeignet, weil der Nachweis fehle, dass diese Variante Kosten spare. Wichtig sei jedoch eine überjährige Zweckbindung der Finanzmittel. Eine Priorisierung entsprechend der Verkehrsachsen sei dabei entscheidend.

Thomas Jarzombek, MdB (Berichterstatter Güterverkehr und Logistik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) sieht die Finanzierung der Infrastruktur vor einem Paradigmenwechsel. Bisherige Finanzierungswege seien am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen. Zudem drücke die Schuldenbremse ab 2016 auf den Haushalt, was zu weiterer Konkurrenz unter den Ressorts führe. Die Zukunft der Infrastrukturfinanzierung sehe er in ÖPP-Projekten oder einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Straße, mit denen der Unterhalt der Straßen und Brücken über 30 Jahre gesichert werden könne. Dies sei die einzige Zweckbindung, die einen Zugriff des Finanzministers auf den entsprechenden Etat verhindern könne.

Dieter Schweer (Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) e.V.), warnte dass die Industrie weder in Ballungsräumen noch auf dem Land neue Werke aufbauen könne, wenn eine gute Infrastrukturanbindung fehle. Die gesamte Logistikkette müsse über alle Verkehrsträger hinweg funktionieren. Vor allem sei eine Beschleunigung der Planung und Umsetzung bei Infrastrukturprojekten erforderlich, um die Akzeptanz in der Bevölkerung langfristig aufrecht zu erhalten. Dazu sei eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern erforderlich – ein zentraler Aufgabenpunkt für die kommende Legislaturperiode.